Interview mit Andreas Müller, CEO Medienhaus Aachen
Interview von Markus Schöberl, pv digest
Eine kleine Aufwärmfrage: ich tue mich schwer mit dem Begriff 'Table Stakes', weil der in unserem Sprachraum gar keine Assoziationen weckt. Wie geht es Ihnen damit? Was bedeutet der Begriff für Sie?
"Da geht es mir wie Ihnen. Ich musste das erst einmal googeln. Und auf der Tagung in Glasgow, wo das Projekt vorgestellt wurde, da musste man mich überreden, an der Session teilzunehmen. Als ich aus der Session rauskam, da wusste ich, um was es geht. Und Doug Smith [der Erfinder und wichtigste Coach von Table Stakes] hatte mich überzeugt. Ein ganz erfahrener Coach, der mich mit richtig schlecht gemachten, also ganz Berater-untypischen, aber inhaltlich richtig starken Charts überzeugt hat.
Heute würde ich sagen, 'Tables Stakes ist wie Weight Watchers für Paid Content'. Es ist eine spezielle Form des Coachings, es ist eine Gruppentherapie für Paid Content Verantwortliche. Das meine ich nur positiv. Es ist ein großes Kompliment für den ganz erfahrenen und in jeder Hinsicht professionell und zielführendend agierenden Coach Doug Smith.
Ich habe in den letzten Jahren, wie viele Kollegen, an Reisen in die USA oder nach Skandinavien teilgenommen. Ich habe Kongresse besucht und viele Vorträge gehört. Von allen diesen Maßnahmen, die von unseren Verbänden und Branchenorganisationen initiiert wurden, ist Table Stakes mit Abstand das Beste gewesen. Ein Austausch mit den 'Peers', mit Verlagen aus anderen Ländern, die in einer ganz ähnlichen Situation sind. Keine skandinavischen Häuser, die uns wahnsinnig weit voraus sind und nicht die New York Times, die für unsere Aachener Zeitungen eben auch kein Maßstab sein kann."
Das ist ja eine sehr ausdrückliche Empfehlung. Könnten Sie sich auch Umstände vorstellen, unter denen Sie von einer Teilnahme an diesem Programm abraten würden?
"Ja, das kann ich. Nämlich, wenn die Teilnahme nicht ausreichend ernst gemeint ist. Table Stakes macht nur dann Sinn, wenn man wirklich daran glaubt, dass die Branche noch zu retten ist. Und dass das mit digitalen Produkten und mit Paid Content möglich ist. Die Teilnehmer am Programm müssen etwas bewegen können. Es müssen die Entscheider selbst sein oder Mitarbeiter, die ich befähige, Maßnahmen auch umzusetzen. Sonst macht das keinen Sinn."
Mit wie vielen Mitarbeitern haben Sie am Programm teilgenommen? Wie aufwändig war das?
Beim ersten Treffen waren wir nur zu zweit, meine Referentin, die sich um viele Projekte im Haus kümmert, und ich. Zum zweiten Treffen waren wir dann schon zu fünft. Und diese fünf sind bis heute das Kernteam bei uns, das an allen Meetings teilnimmt und das Thema in die Organisation trägt. In diesem Kernteam haben wir uns intern einmal pro Woche abgestimmt. Das hat immer so ungefähr eine Stunde gedauert. Und die vier Meetings mit den anderen Table Stakes-Teilnehmern haben wir in eigenen Workshops vorbereitet. Das waren dann Halbtags- oder auch mal eine Ganztagsveranstaltung. Die Meetings selbst fanden dann in Paris, Lissabon und London statt. Das vierte Meeting war, Corona-bedingt, nur eine Online-Veranstaltung. Außer den Reiskosten haben wir für Table Stakes kein Geld ausgegeben."
Können Sie auf den Punkt bringen, was Ihnen die Teilnahme an Table Stakes gebracht hat?
"Viele gute Ansätze, um unsere Herausforderungen radikal anzugehen. Eine 'Einfach Machen'-Mentalität. Mit seinen sehr schlauen Nachfragen hat uns Doug Smith mehrfach auf den richtigen Weg gebracht. Er hat uns ganz deutlich gemacht, wie wichtig es ist, alle Maßnahmen messbar zu machen. Jeder Verlag musste ja für sich sogenannte 'Challenges' definieren, also Zielstellungen, die ganz klar definiert waren. Bei uns war das zum Beispiel, dass wir bis Ende dieses Jahres die Zahl unserer Web-only Digitalabonnenten verdoppeln wollen. Wir kamen von 1.264 und wollen also 2.528 erreichen. Momentan stehen wir bei 2.034, und ich bin guter Dinge, dass wir das Ziel erreichen.
Ein Weg dahin ist unser Gastro-Team. Wir haben erkannt – und das war übrigens ein Tipp von einem schottischen Projektteilnehmer – dass die Berichterstattung über neue Restaurants ein Thema ist, das die Leser wirklich interessiert. Damit gewinnen wir Abos. Früher haben wir solche Artikel eher als Umfeld für die Anzeigenakquise gesehen. Jetzt nutzen wir sie, um unsere Produkte für die Leser messbar attraktiver zu machen."
Ein Prinzip von Doug Smith lautet: 'Stop Doing Things'. Womit haben Sie aufgehört?
"Wir haben eine Liste, eine ganze A4-Seite mit Themen und typischen Artikeln zusammengestellt, über die wir nicht mehr in unserer Zeitung berichten wollen. Schützenfeste, Sportlerehrungen, die Verleihung von Bundesverdienstkreuzen, das sind Themen, die wir in unseren Gratiszeitungen platzieren, aber nicht mehr in der Tageszeitung. Dadurch sind Kapazitäten freigeworden, mit denen wir längere, tiefer recherchierte Stücke produzieren können."
Und womit haben Sie angefangen? 'Rigoroses Start Doing' ist ja auch ein Prinzip von Doug Smith.
"Das kann ich gut an unserem Wirtschaftsnewsletter verdeutlichen. Der war schon fertig konzipiert und besprochen, und wir hatten dann gesagt, 'damit starten wir, wenn unsere Marketing-Automation einsatzbereit ist, wenn wir die Mails automatisiert rausschicken und die Öffnungsquoten usw. messen können'. Aber Doug Smith sagt dann, 'Warum wollt ihr darauf warten? Ihr habt die Mailadressen, ihr habt auch schon einmal E-Mails verschickt, warum wollt ihr noch warten? Macht es jetzt!' Und darauf hat er so lange insistiert, bis wir es getan haben. Mit einfachen Mitteln starten, nicht auf die große SAP-Lösung warten, das ist ein wichtiges Prinzip von Table Stakes."
Eine Empfehlung von Table Stakes ist die Benennung von 'Mini-Publishern', von Mitarbeitern, die mit großem Verantwortungsspielraum Produkte für Teilzielgruppen, 'Audiences', entwickeln und vermarkten. Gibt es bei Ihnen jetzt Mini-Publisher und, wenn ja, äußert sich das im Organigramm? Auf der Visitenkarte? Auf dem Gehaltszettel?
"Ja, das haben wir beim Thema Gastronomie-Berichterstattung. Da haben wir ein kleines Team aufgesetzt, das diese Inhalte online aufbereitet und Querverbindungen herstellt. Damit wollen wir nun Abos gewinnen. Ein Organigramm haben wir aber gar nicht und auf der Visitenkarte findet sich diese Aufgabe auch nicht. Das ist das Gastro-Team, so wie wir auch ein Wirtschaftsteam haben. Diese Teams, die haben die Verantwortung, die berichten einem größeren Kreis darüber, da gibt es auch jemanden, der den Hut aufhat. Sie organisieren sich selbst, sie haben die Aufgabe: 'macht einfach!'. Aber wir haben uns ganz bewusst dagegen entschieden, das in eine feste Struktur zu gießen, denn es kann ja auch immer herauskommen, dass etwas nicht funktioniert und dann hat man da eine Struktur, die schwer wieder aufzulösen ist."
Zum Abschluss eine kleine Lernkontrolle. Doug Smith benennt ganz konkrete Dinge, die zu tun sind, nämlich "die sieben Table Stakes". Darüber haben wir jetzt gar nicht gesprochen. Könnten Sie mir die 7 Table Stakes nennen?
"Im Prinzip schon. Ich kann sie jetzt nicht auswendig hersagen. Aber sie hängen nebenan in meinem Besprechungszimmer oder in allen Konferenzräumen an der Wand."
Stichwort 'Abschluss'. Das organisierte Programm endet jetzt, bzw. nach dem abschließenden Meeting im Oktober. Ist Table Stakes für Sie dann zu Ende?
"Ich glaube nicht, dass es einfach aufhört. Zum einen ist zwischen den Verlagen wirklich ein freundschaftlicher Kontakt entstanden. Es ist zwar eine große Aufgabe, den über Ländergrenzen hinweg aufrechtzuerhalten, sich auch tatsächlich noch einmal zu treffen und auszutauschen. Aber alle finden es eigentlich schade, dass es nun bald vorbei ist.
Doug Smith sagt andererseits: 'Ich habe euch gezeigt, wie es geht. Wenn ihr so weiter macht, dann erreicht ihr auch das Ziel. Ihr müsste euch nur klarmachen, dass alles, was ihr macht, messbar sein muss. Ihr braucht ganz konkrete Herausforderungen, die erreichbar sind, und daran müsst ihr euch ausrichten."